Interview zum Modellversuch Selbstwirksame Schulen

Mannheimer Morgen - 30.12.2000

Wissenschaft und Praxis haben zusammen gefunden

Psychologe Lars Satow hat die Modellschulen auf ihrem Weg in eine neue Zukunft begleitet

Die aktuelle Diskussion um Gewalt an Schulen und Leistungsmängel deutscher Schüler im internationalen Vergleich lässt den Ruf nach einer veränderten Schule laut werden. Entwürfe, wie die Schule der Zukunft aussehen könnte, sind im Modellversuch "Selbstwirksame Schulen", der von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung finanziert wurde, entstanden. Worum es dabei ging und welche Wege die zehn Modellschulen gegangen sind, hat uns der Psychologe Dr. Lars Satow, ein wissenschaftlicher Betreuer des Modellversuchs an der Freien Universität Berlin, geschildert.

Herr Dr. Satow, was war der wissenschaftliche Ausgangspunkt dieses Projekts?

LARS SATOW: Der Ausgangspunkt war die Theorie der Selbstwirksamkeit, die der amerikanische Psychologe Albert Bandura entwickelt hat. Diese Theorie ist in den USA sehr populär. Mit der Selbstwirksamkeitserwartung, "self efficacy" meint Bandura vereinfacht gesagt, das Vertrauen in die eigenen Stärken. Um eine positive Selbstwirksamkeitserwartung zu erreichen, muss man bei den Teilnehmern die Überzeugung aufbauen, dass sie die gestellten Aufgaben bewältigen können.

Funktioniert das auch, wenn die Personen die Aufgaben tatsächlich gar nicht bewältigen können?

SATOW: Das spielt eine untergeordnete Rolle. Nur das Zutrauen, dass man eine Aufgabe lösen kann führt dazu, dass sie als Herausforderung empfunden und positiv angegangen wird. Menschen mit einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung versuchen sie zu lösen, geben nicht so schnell auf und sind deshalb erfolgreicher als Menschen mit einer negativen Erwartung. Wir haben versucht, diese Theorie auf Schüler und Lehrer zu übertragen.

Welche Vorgaben mussten die Schulen erfüllen, um an dem Modellversuch teilnehmen zu können?

SATOW: Für uns war besonders wichtig, dass die Schulen bereit waren, innovative Projekte auszuprobieren. Wir haben das wissenschaftliche Material bereitgestellt und die Modellpartner haben in eigenen Projekten versucht, die Bedingungen an ihren Schulen zu verbessern und die Selbstwirksamkeitserwartungen aufzubauen.

Wie war die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Wissenschaftlern organisiert?

SATOW: Es gab einen regelmäßigen Informationsaustausch zwischen den Schulen und der Modellversuch-Kommission. Außerdem haben die zehn Schulen untereinander Ideen und Erfahrungen ausgetauscht. Dazu kamen interne und externe Evaluationen. Das heißt wir haben Schüler und Lehrer befragt und die Schule hat das auch getan. Dadurch haben wir relativ objektive Daten bekommen.

Gab es auch Schwierigkeiten?

SATOW: Am Anfang waren beide Seiten misstrauisch. Die Schulen standen unserer Evaluation skeptisch gegenüber und wir waren auch zurückhaltend. Doch durch die gegenseitigen Rückmeldungen haben Wissenschaft und Praxis zusammen gefunden und dann klappte es hervorragend. Auch nach Ende des Versuchs läuft die wissenschaftliche Begleitung weiter. Das haben sich die Schulen gewünscht.

Wie haben die Schulen versucht, die Selbstwirksamkeitstheorie anzuwenden?

SATOW: Es gab Teilnehmer, die den Modellversuch dazu genutzt haben, ihre gesamte Schule völlig umzubauen. Dort wurde von traditionellem Front-Unterricht auf offenen Unterricht und die Arbeit mit Wochenplänen umgestellt. Andere Schulen haben bereits bestehende Projekte wie das Schulfernsehen weiter ausgebaut.

Welche Projekte fanden Sie besonders geeignet?

SATOW: Ein intensives Projekt war die Einführung des Unterrichtsfachs "Soziales Lernen" an der Weibelfeldschule. Anderswo wurde mit dem "Team-Teaching" zweier Lehrer pro Klasse begonnen. Auch das Miteinbeziehen von Eltern und Schülern in Entscheidungen der Schulleitung halte ich für einen guten und wichtigen Ansatz.

Erscheinungstag: 30.12.2000 | Zeitung: Mannheimer Morgen | Ressort: MWW | Seite: 3


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